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Sumbawa: Vom angenehmen Nichtstun

Indonesien ist ein wahrer Touristenmagnet. Einen ruhigen und verlassenen Ort zu finden, ist selten. Sumbawa ist so ein Ort, wenn sich nicht gerade eine muslimische Hochzeit ankündigt.

Sumbawa-Steg-Mann

„Mister! Mister!“, rufen die Kinder, die in kleinen Gruppen auf den brüchigen Lastwagen sitzen. Bei jedem Loch hüpfen sie ein bisschen in die Luft und freuen sich riesig darüber. Ihr Lachen ist ansteckend und ebenso ist es ihre unbeschwerte gute Laune. „Mister! Mister!“, ertönt es noch einmal ungeduldig. Sie erwarten ein „Hello“ oder ein Winken, auch wenn der Mister eigentlich gar kein Mister ist. Doch wen kümmert das schon? Vom Nichtstun in Sumbawa, Indonesien.

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Mister, so wie es die Kleinen gelernt haben, werden hier alle Touristen genannt. So oft gibt es sie auf Sumbawa nämlich noch nicht. Sumbawa ist die neuntgrößte Insel der 17.508 indonesischen Inseln. Gleichzeitig ist sie eine der Inseln, die am wenigsten besucht wird, denn allzu viel wird dem Normaltouristen nicht geboten: keine Parties, keine westlichen Restaurants, keine Massagefrauen an jeder Ecke, die mit quietschenden Stimmen auf sich aufmerksam machen. Auch gibt es hier keinen Verkehr, keine Clubs, keine Bars und keine Quinoa-Chia-Smoothie-Bowl. Denn die Individualreisenden von heute verweilen meist in den hippen Cafés auf der Urlaubsinsel Bali oder in den Hängematten der Gili Inseln. Abenteurer wiederum zieht es nach Lombok, wo sie den Vulkan Rinjani besteigen.

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Nichtstun in Sumbawa – an einem herrlich echten und unberührten Fleck

Und alle anderen? Die sind vermutlich in Thailand oder auf den Bierparties von Laos hängengeblieben.

Eines haben alle jedoch gemeinsam: Sie sind der festen Überzeugung, mittendrin zu sein. Einheimische kennenzulernen, das Land wirklich zu sehen und endlich einen richtigen Einblick in die Kultur des Landes zu bekommen, ihren Horizont zu erweitern –theoretisch jedenfalls.

Lakey Peak: Höhepunkt der Surfkultur

Einen Ort wirklich kennenzulernen, seinen Ursprung vor dem Ausbruch der Tourismusentwicklung mit eigenen Augen mitzuerleben, das ist heute eine Seltenheit. Außer vielleicht an den kleinen, versteckten Orten, wie Sumbawa. Von der Hauptstadt Bima aus ins Landesinnere werden die Schlaglöcher größer. Ab und zu stoppen Wasserbüffel den Verkehr, wenn sie von rechts nach links, von Wasserloch zu Wasserloch ziehen. Sumbawa ist hügelig und grün. Sehenswürdigkeiten gibt es keine. Abgesehen von der Natur, und eigentlich reicht sie als Sehenswürdigkeit auch völlig aus.

Es sind die Surfer, die die konstanten Wellen in Lakey Peak surfen wollen und es sind jene, die Lust darauf haben, Indonesien so kennenzulernen, wie es vielleicht irgendwann auch auf Bali einmal war.

Damals, als die Kinder beim Anblick von Touristen noch aufgeregt auf die Straße rannten. Damals, als ein Homestay einfach nur eine einfache Unterkunft bei Einheimischen war – ohne Klimaanlage, ohne warmes Wasser und ohne Wi-Fi. Damals, als die Einheimischen sogar Lust darauf hatten, den Neuankömmlingen ihr Zuhause zu zeigen, ihre Insel, ihr Dorf.

Surfen in Indonesien
Lakey Peak ist einer der berühmtesten Surfspots der Insel

So wie Wahid. Er kommt aus dem Nichts und steht freundlich grinsend einfach nur da. Er will helfen – so wie das hier alle tun wollen. Auch dann, wenn sich die Reisenden gar nicht verirrt haben. Wahid winkt und ruft. „Yes, room?“ Ein Spruch, der auch auf den anderen indonesischen Inseln bekannt ist. Wenn die großen Boote oder Busse an der Endhaltestelle oder am Hafen ankommen, tönt er aus jeder Ecke. Viele sehen einfach nur das Geld, aber nicht Wahid.

Er meint es ernst. Von der Hauptstraße des Ortes Bima führt eine einfache Schotterstraße zum Meer. Und auch zu den vereinzelten Homestays, die sich an den Stränden von Sumbawa befinden. Viele gibt es hier ohnehin nicht und deswegen ist es auch kein Wunder, wenn man das Gefühl hat, dass alle Besucher von Sumbawa in einem Homestay nächtigen.

Dieses scheint gerade etwas verlassen – und zwar aus gutem Grund: Hinter den Palmen rauscht es. Konstant. Nur mit viel Glück kann man von Weitem das erspähen, was alle angezogen hat: Eine perfekt, nach links brechende Welle. Wie im Bilderbuch steht sie da. Ab und zu bewegen sich schwarze Punkte, die es sich im Meer hinter der Welle gemütlich gemacht haben. Es sind die Surfer, die nach Lakey Peak kommen, um nichts Anderes zu tun, als zu surfen – von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang.

Selten verlassen die Surfer hier das Line-up, die Stelle, an der sie gemeinsam im offenen Meer auf den richtigen Moment warten, um auf eine Welle zuzupaddeln. Und wenn, dann zieht es sie auf die Plätze der Cafés vor den Homestays, die die beste Aussicht bieten.

Dorthin, wo sie bei frischem Ananassaft die anderen Surfer, die es noch immer im Meer aushalten, beobachten können. Und sowieso ist die Tagesplanung der meisten hier deckungsgleich: Surfen, schlafen, surfen. Wäre Sumbawa eine Uhr, dann gäbe es keine anderen Uhrzeiten als diese.

Nichtstun in Sumbawa: Der beste Weg, um Sumbawa zu erleben

Wahid ist startklar. Er kennt Sumbawa in- und auswendig. So wie alle Bewohner dieser Insel, will er allen Neuankömmlingen direkt zeigen, dass es auch außerhalb des Meeres etwas zu sehen gibt. Er ist ein ganz Solider. Einer, der am liebsten mehr erleben möchte, als an einem Tag und bei einer Grundfläche von 15.448 km² möglich ist.

Auch ist er einer, der in langer Jeans und T-Shirt bei trockenen 30 Grad überhaupt nicht schwitzt. Einer, der nicht viel sagt, aber gern viel sagen würde, wenn es seine spärlichen Englischkenntnisse doch bloß erlauben würden.

Sumbawa-Mann-Bruecke
Nichtstun in Sumbawa Die Bewohner Sumbawas sind absolut gastfreundlich

Um mit Wahid mitzuhalten, muss man Gas geben. Der Roller meckert bei jedem einzelnen Schlagloch, das umfahren wird. Er klappert und quietscht. Es geht in den Dschungel, erklärt Wahid. Was er damit meint ist ein kleines grünes Waldstück, in dem sich eine Höhle verbirgt. Hinter einem trockenen Flussufer, in dem sich riesige Wasserochsen suhlen, geht ein kleiner Pfad bergauf. Eine Eskorte von Kindern führt uns in den Wald.

Obwohl Wahid den Weg selbst genau kennt, nimmt er die Hilfe gern an. So sind sie eben, die Menschen auf Sumbawa: freundlich und hilfsbereit. Eine Höhle ist das Steingemäuer im grünen Wald aber nicht. Die Höhlen befinden sich im Westen der Insel und nicht im Osten, wo Lakey Peak und Bima liegen. Aufgeregt zeigen die Kinder auf die Steine. Eine Großfamilie gesellt sich dazu und gemeinsam grinsen sie und reden auf die Touristen ein, die sich endlich, ja endlich, mal wieder aus dem Line-up heraus in die andere Natur der Insel getraut haben.

Der beste Weg, um Sumbawa zu erleben, ist keinen Plan zu haben. Wahid hat zwar vermutlich einen, doch er verrät ihn nicht. Er fährt die Hauptstraße entlang, als wüsste er genau, wo er hin will: er rast, stoppt, zeigt auf Dinge, die aus der Ferne schwer zu erkennen sind und immer wieder bremst er, um Bekannte zu grüßen. Man kennt sich eben.

Eine Algen-Farm in Indonesien
Das Algen-Farming ist eine gute Einnahmequelle auf Sumbawa
Sumbawa-Mann-Fischerboot
An jeder Ecke warten tolle Begegnungen mit den Einheimischen Sumbawas

Plötzlich riecht es nach Fisch. Kurve um Kurve wird der Geruch stärker, bis Hu’u zu sehen ist. Was klingt, wie eine hippe Strandbar auf Bali, ist in Wirklichkeit ein kleines Fischerdörfchen, das seinen Ursprung weitestgehend bewahrt hat. An jedem anderen Tag ist Hu’u verschlafen und ruhig. Die einzigen Geräusche, die hier normalerweise zu hören sind, sind die Motoren der Fischerboote, das Lachen der Kinder, die Garnelen aus den Fischernetzen pulen, und die Stimmen der Fischer, die sich über ihren heutigen Fang austauschen.

Heute aber ist es anders. Heute ist Hu’u laut. Das ganze Dorf ist aufgeregt und auf den Beinen. Während die Fischerboote leer vor sich hindümpeln, sitzt das gesamte Örtchen auf Plastikstühlen unter einer Plane am Straßenrand.

Der Grund ist nicht zu übersehen: Heute wird in Hu’u geheiratet. Gute-Laune-Musik dröhnt aus Boxen, die etwas in die Jahre gekommen sind. Einzig der Bass ist zu hören, die Stimmen und die Klänge der Musik gehen  auf dem Weg von der Box in den improvisierten Saal verloren.

Als Wahid mit seinen neuen Freunden um die Ecke kommt, schauen alle ganz aufgeregt. Doch dann verfallen sie in ein herzliches Lachen. Ein Lachen, das einen sofort willkommen heißt. Keine Chance, weiterzufahren. „Mister! Mister!“ – die Rufe lassen wieder einmal nicht lange auf sich warten. In Windeseile rennen alle Kinder der Hochzeitsgesellschaft auf die Straße und ziehen Wahid in den Saal.

Nichtstun in Sumbawa: Touristen gehören auf die Bühne

Dann zeigen sie aufgeregt auf einen Plastikstuhl in der vordersten Reihe – so sympathisch fordernd, wie es eben nur Kinder können. Wahid grinst. Sein Englisch reicht nicht aus, um zu erklären, was hier gerade vor sich geht. Doch er weiß ganz genau, was jetzt passieren wird. Muslimische Hochzeiten haben auf Sumbawa ihre eigenen Regeln. Und Touristen gehören eben auf die Bühne.

Wahid hingegen darf es sich auf einem Plastikstuhl gemütlich machen. Jetzt geht der Spaß erst richtig los – vor allem für die Einheimischen. Denn während die Touristen zusammen mit dem Brautpaar und ihren Familien auf der Bühne ausgelassen tanzen, bringt der Bass das ganze Dorf zum Klatschen – und Wahid zum Strahlen. Das war es also, warum er die ganze Zeit so gerast ist!

Sumbawa-Hochzeit-Indonesien-Muslimisch
Nichtstun in Sumbawa: Als Tourist kann man schnell auf einer lokalen Hochzeit landen

Nach der Feier setzt sich Wahid glücklich und zufrieden auf seinen Roller. Ein letztes Mal winkt er, verabschiedet sich und fährt zurück in Richtung Lakey Peak. Ein Dankeschön möchte er nicht. Das möchte hier, auf Sumbawa, sowieso niemand. Die Insel perfektioniert das Spiel des Zufalls. Die Menschen selbst schaffen das, was kaum ein anderer Ort der Welt schafft: die perfekte Reise-Erfahrung, ganz ohne Sehenswürdigkeiten. Sie nehmen sich das Nichts, was da ist, und füllen es mit Lebensfreude und Hilfsbereitschaft. So, wie sie es auch von den Reisenden, die hier ankommen, erwarten. Jene Besucher, die außer dem Surfen und den Wellen auch einmal in das Landesinnere reisen, um die Menschen zu treffen, die so ganz besonders und eigen sind, so herzlich und offen zugleich. Mit wenigen Englischkenntnissen zwar, aber dafür einem großen Herz. So wie Wahid. Und beim Mau-Mau-Spielen am Strand von Lakey Peak dürfen wir es dann doch noch sagen: ein Dankeschön, das einzige, das er akzeptiert.

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