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Ecuador: Illegal im Dschungel

Piranhas gelten in Ecuador als Delikatesse. Kein Wunder, dass sie vom Aussterben bedroht sind und, dass Piranhas angeln strafbar ist. Doch wen interessiert das schon im Dschungel des Río Napo?

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Unaufhörlich prasselt der Regen auf unsere Jacken und legt sich wie ein rhythmischer Klangteppich auf die Landschaft des Río Napo in Ecuador. Unwirklich wirkt sie, was auch an den bizarren Stimmen liegt, die aus dem dichten Regenwald zu uns auf den Fluss dringen. Keine menschlichen Stimmen, doch was es sonst sein könnte, bleibt unklar.
Wenn der Regen kommt, regt sich der Dschungel. Längst habe ich aufgegeben, mich vor den riesigen Wassermassen zu schützen. Klatschnass bin ich, bis auf die Unterhose. Seit Stunden regnet es nun schon. Meine Kamera habe ich unter dem dichtem Nylonstoff meines Rucksacks in Sicherheit gebracht und den Plan, unseren Ausflug fotografisch festzuhalten, gezwungenermaßen ad acta gelegt. Zugegeben, meine Komplizen sind nicht weniger durchnässt, auch wenn sie es vermutlich gewohnt sind. Meine Komplizen, das sind José* und Mutyani*. José kommt aus der ecuadorianischen Hauptstadt Quito. Mutyani hingegen ist sogar hier im Yasuní-Nationalpark im Osten Ecuadors aufgewachsen, genauer gesagt am äußeren Ende des Río Napo, dem größten Zufluss des ehrwürdigen Mutterflusses: dem Amazonas. Unsere heutige Mission: Piranhas angeln. Und das ist in Ecuador, in Südamerika, verboten.

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Piranhas angeln: Mit dem Holzkahn im Yasuní-Nationalpark

Die Reise ins Hinterland von Ecuador ist eine echte Odyssee. Fünf beschwerliche Stunden habe ich hinter mir: Aus Quito ging es erst mit dem Taxi, dann per Flugzeug, Minibus und Fähre immer tiefer hinein in die Wildnis, bis ins Napo Wildlife Center, das verborgen im Urwald an der Schwarzwasser-Lagune Añangu liegt. Von dort aus ging es mit einem schmalen Holzkahn weitere zwei Stunden in Richtung Osten. Mit einfachen Paddeln bewaffnet, sind wir recht schnell vom Hauptstrom abgebogen, hinein in die verschachtelten Seitenarme des Napo Fluss, mitten ins dichteste Dickicht des Dschungels. Regen? Da können die beiden nur lachen. Und das tun wir drei viel auf diesem illegalen Abenteuer.Die Fischgattung der Piranhas ist in den Flüssen und Zuflüssen Ecuadors keine Seltenheit. Auch in den Bratpfannen der Ecuadorianer sind sie das nicht, bis vor kurzem zumindest. Denn nachdem die Population entlang des Napo rasant schrumpfte, erließ die Regierung ein Verbot zum Schutz der Tiere und stellte damit das Fischen von Piranhas ein. Besonders bei den indigenen Völkern der Region gelten die maximal handtellergroßen Fische noch immer als Delikatesse.

In den Gewässern im Yasuni Nationalpark in Ecuador kann man Piranhas angeln
In den Gewässern im Yasuni Nationalpark in Ecuador kann man Piranhas angeln

Immer tiefer hinein in den Regenwald – und zu den Piranhas

Mit der Nässe kommt die Ernüchterung, denn die kleinen Piranhas müssen erst einmal gefunden werden. Die Jungs, José und Mutyani, wissen wie das geht. Zumindest behaupten sie es. „Duck dich“, flüstert mir José zu, und gerade so kann ich verhindern, dass mir eine Liane quer durchs Gesicht peitscht. Wir müssen ruhig sein, um die Tiere nicht aufzuschrecken, werde ich belehrt. Das tut der Regen schon genug. Immer tiefer geht es jetzt hinein in den Regenwald. Auf tiefschwarzem Wasser, an schlammüberzogenen Ufern entlang und unter dichten Geflechten von Lianen hindurch. Fast beschleicht mich das Gefühl, der kleine Mowgli aus dem Dschungelbuch könnte plötzlich vor uns stehen und uns höchstpersönlich zu den Piranhas geleiten. Oder vielleicht könnte ja Tarzan einmal an uns vorbeischwingen?

Pflanzen im Yasuni Nationalpark in Ecuador
Pflanzen im Yasuni-Nationalpark in Ecuador

Die mysteriöse Geräuschkulisse des Dschungels lässt die eigenen Gedanken weggleiten, wie das matschige Treibholz im sachten Strom des Flusslaufs. Ab und an erspähen wir Tití-Braunaffen in den Baumwipfeln. Mit weit aufgerissenen Augen schauen sie auf uns hinunter. Fast so, als seien auch sie erschrocken über das Bild, das wir ihnen hier bieten. Tatsächlich ist außer uns gerade niemand auf dem Napo und seinen Nebenflüssen unterwegs. Nur wir Piranha-Räuber trauen uns raus ins Unwetter.Dabei sind die eigentlichen Räuber die gefräßigen Piranhas selbst. Mittlerweile weiß auch in der westlichen Welt jedes kleine Kind, dass die bunten Fische in alles hineinbeißen, was nicht bei drei auf den Lianen ist. „Was würde denn passieren?“, frage ich meine Begleiter neugierig und fühle mich wieder wie ein achtjähriger Schuljunge. Dabei bemühe ich mich, so leise wie möglich zu sprechen. Wir wollen ja keine Urwaldungeheuer wecken.

Bei der Vorstellung meine Fingerkuppe ins Wasser zu halten, muss ich unwillkürlich an eine Szene aus einem alten James Bond-Streifen denken, wo die Schurkin Helga Bradt den Piranhas zum Fraß vorgeworfen wird. José antwortet nicht auf meine Frage, sondern drückt nur seine beiden Zahnreihen aneinander und lässt mit einem knackenden Geräusch und meinen dadurch angeregten Fantasien allein.

Rindfleisch als Fischköder

Die schnell wiederkehrende Stille durchbricht José mit Erklärungen, natürlich im Flüstermodus. „Piranhaschwärme findet man nur in langsam fließenden Flussbereichen oder in stehenden Gewässern“, erklärt er, seinen Blick stets auf die Bäume entlang des Ufers gerichtet. Und genau so einen Ort scheinen wir jetzt erreicht zu haben. Die Jungs geben sich ein Handzeichen und legen sachte ihre Paddel aus der Hand. Ich tue es ihnen gleich, während meine Blicke ungeduldig über das Wasser wandern. Unser Holzkahn wird langsamer. Mutyani reißt einen dünnen Zweig von einem Baum ab, wickelt gekonnt eine Angelschnur an ein Ende und versieht das andere mit einem Stück Rindfleisch, das ein befreundeter Koch ihnen noch in den Morgenstunden zugesteckt hat. Zack! Und schon ist es im dunklen Wasser untergetaucht. „Wieso Rind?“, frage ich José, dessen Englisch auch im Flüstermodus gut verständlich ist. „Weil Huhn nicht genug blutet“, flüstert er zurück.

Wir warten. Fünf Sekunden, zehn Sekunden. Völlig in Gedanken versunken, habe ich das Blut, von dem José eben sprach, vor Augen, als Mutyani die Schnur ruckartig nach oben zieht und den Fang in den Rumpf unseres kleinen Bootes schleudert. Und tatsächlich: da liegt der Piranha, knallorange, halb so groß wie eine Hand, den Kiefer weit aufgerissen. Er schnappt um sich. Hoffentlich nur nach Luft, denke ich mir. Seine Zähne sind spitz wie die eines Haifischs. Nur kleiner. Kein Wunder, dass Piranha übersetzt Zahnfisch bedeutet. Die Idee, den Finger ins Gewässer zu halten, verwerfe ich prompt. Gefräßig sind sie, die Piranhas.

Piranha-Fütterung im strömenden Regen

Doch unser kleines Abenteuer Piranhas angeln ist noch nicht beendet. Todesmutig nimmt José den Fisch mit einem gekonnten Griff in die Hand, rupft ein Blatt vom Baum ab und hält es dem Piranha zwischen den weit geöffneten Kiefer. So schnell wie der Fisch zubeißt, kann ich gar nicht schauen. Mit einem glatten Schnitt haben seine spitzen Zähne in Millisekundenschnelle das Blatt durchtrennt. Obwohl es immer noch in Strömen auf uns herunterregnet, zücke ich mein Smartphone und schieße wild drauflos. Dann ist das Spektakel auch schon wieder vorbei. Mutyani entlässt den unverletzten Fisch wieder in das tiefe Dunkel des Flusslaufs.

Kleiner Piranha im Boot in Ecuador
Piranhas angeln ist offiziell eigentlich in Ecuador verboten
Piranha-Maul nach dem Fang
Piranhas findet man vor allem im Amazonas

Auf dem Weg zurück ins Napo Wildlife Center, durch die engen Wasserstraßen des Rio Napo, unterhalten wir uns wieder lauter und auch angeregter. Sogar der bisher so stille Mutyani trägt etwas dazu bei, die Stille des Regenwaldes zu brechen. Ob es mir gefallen habe, fragt er in gebrochenem Schulenglisch und lächelt dabei so sympathisch, dass man das Gefühl hat, jegliches bisschen Mehr an Sprachkenntnis wäre fehl am Platz. Sehr hat es mir gefallen, erwidere ich. Meine kindliche Begeisterung sieht man wohl noch immer in meinen strahlenden Augen.

Der Regen hat mittlerweile nachgelassen und auch die Tiere scheinen sich ein wenig beruhigt zu haben.„Piranhas besitzen ein ausgeprägtes Schwarmverhalten“, ergänzt José und erklärt, dass sich die Tiere am liebsten in Mischwasserzonen – an Einmündungen von Schwarzwassern in Weißwasser – aufhalten.

Mission erfüllt

Mit einem kräftigen Paddelschlag befördern wir uns hinaus aus dem Fluss Río Napo. Unser Abenteuer hat ein Ende, mission accomplished. Und genau wie unser kleiner Piranha, begeben auch wir uns wieder dahin, wo wir hingehören: zurück in die Zivilisation.

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