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Stellenbosch: Der Prinz von Kayamandi

Unweit von Kapstadt reiht sich Blechhütte an Blechhütte. Das Kayamandi Township ist ein Relikt der Apartheid, aber auch das Zuhause eines echten Prinzen.

Kayamandi-Prinz

Nkosana mag Touristen. Er findet sie interessant. Wieso sollte der 4-Jährige sie sonst auf Schritt und Tritt über die staubigen Straßen begleiten? Der Kayamandi-Township liegt in der Provinz Westkap in Südafrika am Zipfel des afrikanischen Kontinents. Wer hierhin will, der muss von der Metropole Kapstadt etwa 50 Kilometer nach Osten ins Zentrum der südafrikanischen Weinanbaugebiete nach Stellenbosch fahren und von dort weitere zehn Minuten bis zum Kayamandi Township. Und wer den kleinen Nkosana treffen will? Der muss weiter hinein, durch die verschachtelten Gassen und mitten ins Herz der Siedlung.

Wie so viele Townships, ist auch dieses schon von Weitem zu erkennen. Wie Tetrissteine reihen sich die sogenannten „Shacks“ den Hang hinauf, eine Blechhütte bunter als die andere. Auf manchen prangt der Schriftzug von Coca-Cola, andere bestehen aus ganzen Schiffscontainern. Fast alle wurden aus gesammeltem Wellblech provisorisch zusammengebastelt, so könnte man denken.

Reisetipps für Südafrika:

Autos im Kayamandi-Township bei Stellenbosch in Südafrika
Das Township Kayamandi kann man besuchen

Was hier notdürftig ist und was nicht, das erschließt sich dem Besucher jedoch erst auf den zweiten Blick. Denn wo einem geradezu reflexartig der Begriff Armut in den Sinn kommen mag, scheint dies bei genauerem Hinsehen geradezu unpassend, um diesen Ort zu beschreiben.

Wer es genau wissen will, der muss mit den Einheimischen sprechen. Zum Beispiel mit Thembi Koli. Die Südafrikanerin bietet bereits seit 2004 Touren an und ist dabei leidenschaftlich bis in die letzte Spitze ihrer krausen Haare. Sie ist hier aufgewachsen und kennt die Gegend wie ihre Westentasche. Kein Wunder, dass sie ihr Brot am liebsten damit verdient, Touristen ihr ganz persönliches Kayamandi-Township zu zeigen. Ihr „Süßes Zuhause“, wie der Township in der Sprache der Xhosa heißt.

Wer sich auf die Tour einlässt, den führt sie durch ihre ganz persönliche Heimat. Thembi ist eine Frohnatur und das merkt man schon beim Handschlag. Dann macht sich ein breites Grinsen in ihrem auf Anhieb sympathischen Gesicht breit, gerade so, als würde dort die Sonne aufgehen. „Wart ihr schon mal in einem Township?“, fragt sie mit lauter, kräftiger Stimme und erinnert dabei ein wenig an Whoopi Goldberg (Wikipedia) in Sister Act. Die zögerlichen Antworten überspielt sie mit einem frivolen „Alright, let’s go!“ Also dann, los geht’s. Wir passieren Kioske und ihre Besitzer, die uns freundlich zunicken – und Thembi erst recht. Dann laufen wir an einer Reihe von Wohnhäusern entlang, die ein wenig an amerikanische Vorstadtidyllen erinnern, nur mit Kleinwagen statt Pick-ups und SUV in der Einfahrt.

Ein schmaler Gang im Kayamandi-Township
In den vielen Gängen in Kayamandi kann man sich gut verlieren
Wellblechhütten im Kayamandi-Township in Südafrika
Die meisten Häuser im Townshop Kayamandi wurden aus Blech gebaut

„Hi meza“, ruft ein Mittvierziger uns zu. Meza bedeutet Nachbar, so werden wir belehrt. Thembi winkt freundlich zurück. Überhaupt scheint das ganze Dorf sie zu kennen. Ein Gruß hier, ein Wink da. Ob sie nachher zum Gottesdienst komme, ruft ein Bekannter fragend von der anderen Straßenseite herüber. Die Antwort geht im Gelächter der Situation unter. Wieso überhaupt gelacht wurde, scheint dabei keiner so richtig zu wissen.

„Das ist Südafrika“, sagt Thembi verschmitzt, eine Erklärung, die hier in Südafrika fast immer zu passen scheint. „Die Sonne scheint, es ist einfach ein schöner Tag“, fährt sie fort. Recht hat sie. Ob sie später zum Gottesdienst gehe, wisse sie aber noch nicht. „Erst mal sehen, was der Tag bringt.“

Als Nächstes wartet dieser mit einer kleinen Überraschung auf, genauer gesagt einer ein Meter großen. Der kleine Junge verfolgt und beäugt uns schon eine ganze Weile. Jetzt steht er plötzlich neben uns, mit seinen riesigen Augen, tiefschwarz wie der ganze Kontinent. Die Neugier quillt geradezu aus ihnen heraus. Angst oder Scheu ist da keine zu sehen. „Nkosana heißt der Kleine“, klärt uns Thembi auf und führt uns in den kleinen Shop ihrer Freundin Portia Mpangwa. Der Junge folgt uns hinein.

Trocknende Wäsche im Kayamandi Township
Auf einer Tour bekommt man einen guten Einblick in den Alltag

Handgemachte Kunst im Township

Unter einem Wellblechdach präsentiert uns die junge Frau eine breite Auswahl an bunten Armbändern, Perlenketten und Ohrringen. Allesamt seien sie handgemacht im eigenen Schlafzimmer, verkündet sie voller Stolz. Allerdings ist die Beleuchtung des improvisierten Shops etwas spärlich und so kommen die selbst gemachten Accessoires im Zwielicht der Hütte leider wenig zur Geltung. Nkosana schaut trotzdem ganz begeistert drein.

Wieder dem gleißenden Tageslicht ausgesetzt, machen wir uns auf ins Labyrinth der Blechhütten. Kaum von der Straße abgebogen, hat man sich auch schon verloren in einem Wirrwarr aus schmalen Gassen und Hinterhöfen. Je weiter wir ins Zentrum des Dorfes eindringen, desto enger und dunkler werden die Gassen zwischen den Shacks.

Hier wirkt alles viel einfacher und dreckiger als entlang der Hauptstraßen. Kayamandi offenbart ein anderes Gesicht. Der Ort entstand Anfang der 50er Jahre zur Zeit der Apartheid, erklärt unser Guide, während wir über Stock und Stein, über Müll und Pfützen hüpfen. Damals wurden die in den Städten arbeitenden Schwarzen zwar als Gastarbeiter akzeptiert, lebten aber überwiegend in sogenannten Townships am Stadtrand. Sie wurden ausgelagert, was die Einheimischen jedoch gar nicht gerne hören.

„Es ist doch ein schöner Ort“ meint Thembi und man mag ihr sofort recht geben. Dennoch wurde der Kayamandi-Township von ausländischen Besuchern meist als eine No-go-Area angesehen, als verstecktes Randgebiet, in das man sich lieber nicht hinein traut. Das soll sich nun ändern, durch Menschen wie Thembi. Sie heißt Touristen aus aller Welt in ihrer Gemeinde willkommen.

Eine Frau im Kayamandi-Township
Der Kayamandi-Township ist ein ganz besonderer Ort

Und wie reagieren die Bewohner selbst auf die Besucher? Die tun es ihr gleich, überall Herzlichkeit, wohin man auch schaut. Und überhaupt, was unter vielen Südafrikanern noch immer als Armenviertel gilt, weist heute an vielen Ecken auch Zukunftsweisendes auf. So hat der Stadtteil einen eigenen Kindergarten, eine Grundschule und sogar eine Highschool. Einige Bewohner arbeiten auf den weltberühmten Weinfarmen rund um Stellenbosch und anderswo in der Stadt.

Während Thembi uns kaum zu Wort kommen lässt und die Fakten und Meinungen nur so aus ihr heraussprudeln, folgt uns Nkosana immer noch und kommentiert jeden englischen Satz mit einem ausdrucksstarken Lächeln. Fast so, als würde er alles verstehen. Unsere Tour geht weiter.

Und weiterhin lauert an jeder Ecke eine neue Überraschung auf uns. Hier hängt eine alte Frau ihre Wäsche an einer Leine auf, die zwischen zwei Wellblechhütten baumelt. Dort schlachtet ein Mann ein Huhn vor dem eigenen Haus und das Blut rinnt langsam die Straße herunter.

In einem Hinterhof spielen Kinder Fußball und schreien und jubeln dabei, als ginge es um das Finale des Afrika-Cups. Ein paar Ecken weiter wurde ein Container kurzerhand in einen Friseursalon umgewandelt, mit weit offenstehenden Türen und einem hinein gefrästen Fenster. „Gcigci Hair Saloon“ heißt der Laden und im Inneren macht ein glatzköpfiger Mann einer jungen Dame Extensions in die Haare. Für den Gottesdienst vielleicht?

Ein Mädchen in einer Wellblechhütte in Stellenbosch
Meist hat man wunderbare Begegnungen in Kayamandi

Einige Straßen weiter treffen wir in einem Hinterhof auf eine wild zusammengewürfelte Gruppe trinkender Männer neben einem völlig ausgebrannten Autowrack. Sie sind unterschiedlichsten Alters und haben heute scheinbar frei.

Heimweh nach Kayamandi

Wieso sonst sollten sie sich mitten am Tag mit lokal gebrautem Bier betrinken? Die Stimmung ist gelöst und so sind es auch die Zungen der Männer, die Thembi lauthals hinterherrufen, gefolgt von großem Gelächter. Gekonnt steigt sie mit ein, winkt mit einer lockeren Handbewegung ab und verschwindet hinter der nächsten Ecke. Wir machen es ihr nach. Nur Nkosana ist im Trubel der Situation verloren gegangen. Genau so etwas wolle sie nicht missen, erklärt Thembi. Wenn sie mal nicht hier sei, habe sie sofort Heimweh. „Nach dem Lärm, den Farben, den blöden Sprüchen.“ Wir machen an einem kleinen Kiosk halt. Schon von weitem grüßt uns auch hier die Verkäuferin. Das kleine Mädchen vor dem Laden ist keine zwölf Jahre alt. Sie kennt unsere Begleiterin natürlich und hat gleich einen kleinen Witz für sie parat. Beide lachen herzlich. Thembi schenkt der Kleinen zum Abschied eine eiskalte Fanta, der Scherz hat sich für sie offensichtlich gelohnt.

Stop da Racism
Ein Statement. So wahr.

Wir spazieren weiter, auf die Kirche zu, vor der sich erste Besucher des Gottesdienstes versammeln. Allesamt sind sie fein herausgeputzt, im Anzug oder einem adretten Kleidchen. Ob sie doch noch hingehe, wollen wir von Thembi wissen und wie erwartet lässt sie ein breites Grinsen antworten, das sich in überlegener Langsamkeit in ihrem Gesicht breitmacht. Natürlich gehe sie gleich in die Kirche, ergänzt sie dann doch noch, aber dafür müsse sie jetzt so schnell wie möglich nach Hause, um das Sonntagskleid aus dem Schrank zu holen. Wir umarmen uns so herzlich, wie man es hier eben macht und versprechen uns ein Wiedersehen.

Dann hüpft Thembi von dannen, die Straße herunter. „Was heißt eigentlich Nkosana?“, rufe ich ihr noch hinterher. „Prince“ hallt es mir entgegen und Thembi verschwindet hinter der nächsten Kreuzung. Na dann, mach’s gut, kleiner Prinz. Wo auch immer du gerade bist.

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