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Der Malecón in Havanna: Brandung der Wehmütigen

Am Malecon in Havanna sind alle gleich. Wenn am Abend die Wellen gegen die rissige Betonmauer preschen, die Angler die Seelenruhe haben und aus der Ferne Son-Klänge klingen, dann ist es einer dieser ganz normalen Abende in Havanna.

Malecon Havanna Kuba Sehenswürdigkeiten

Die Steine sind noch warm von der Sonne, die den ganzen Tag über ohne Hindernisse auf sie drauf brutzelte. Bisher ist noch nicht viel los. Die Betonmauern sind fast leer, die Promenade wirkt verlassenen und selbst die Wellen, die hier sonst unaufhörlich gegen die dicke Wand preschen, halten sich im Zaum. Es ist 16 Uhr in Kuba und das schönste Fleckchen startet so langsam in den Abend. Es ist Sonnenuntergang am Malecón in Havanna.

Acht Kilometer lang ist die Promenade. Sie schmiegt sich entlang des Atlantiks und zieht dank ihrer kleinen Mauer jeden Abend etliche Kubaner und Touristen an. All jene, die sich nach den letzten Sonnenstrahlen auf der Nasenspitze, nach einer frischen Meeresbrise und einem kühlen Cristal-Bier sehnen.

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Sonnenuntergang am Malecón: Glamour trifft große Träume

Über 50 Jahre hat der Bau dieser Straße gedauert, die eigentlich Avenida de Maceo heißt und vom Hafen Havannas bis in das Stadtviertel Vedado führt. Damals, da war es die große Prachtstraße. Nicht umsonst wurden entlang des Malecón Luxushotels eröffnet, die US-Botschaft platziert und andere wichtige Institutionen gebaut. Heute, weitere 50 Jahre nach der Fertigstellung des Malecón, hat sich einiges geändert, wie im Rest des Landes.

Die einst so glamouröse Straße ist gezeichnet vom Zahn der Zeit. Der Asphalt ist rissig, der Beton verwittert. An manchen Tagen schlagen die Wellen des Atlantiks so heftig an die Mauer, dass die Gischt die Fahrbahn flutet. Das geht an dem alten Gemäuer nicht spurlos vorbei. Dicke Salzränder durchziehen den Boden, eingebrannt von der Sonne. Das alles ändert aber nichts daran, dass der Malecón das Zentrum der kubanischen Kultur ist und bleibt.

Und so füllen sich die Promenade und die Betonmauern auch an diesem Nachmittag Minute für Minute mit Menschen, die zur schönsten Zeit des Tages an jenen Ort pilgern, der schon seit Jahren die Postkarten in Kuba ziert.

Oldtimer gehören zu Havanna dazu
Sonnenuntergang am Malecón: Sunset-Fahrt mit dem Oldtimer
Blick über die Dächer von Havanna
Den Malecón könnt ihr von den Dachterrassen der Hotels gut sehen

Gegen 17 Uhr färbt die untergehende Sonne den Himmel erst in ein knalliges Orange, bald in ein zartes Rosa. Die Angler haben längst ihre Stammposition eingenommen. Sie wirken wie kleine, schwarze Strichmännchen vor dem glitzernden Meer und der Silhouette von Havannas Gebäuden, die sich wie eine Perlenkette entlang der Prachtstraße schlängelt. Dass auch sie mittlerweile etwas brüchig sind, lassen die Umrisse nicht erkennen.

Am Malecón in Havanna sind alle gleich. Hier wird nicht unterschieden. Wie auch, in einem der sozialistischsten Staaten der Welt. Dort, wo sowieso jeder das Gleiche verdient und das Gleiche besitzen darf. Hier sitzen Ärzte neben Schülern, Bettler fragen sich von einem Touristen zum nächsten, und mittendrin sitzt der Normalkubaner mit seinen Träumen und Visionen. Er hat den Blick fest auf den Atlantik gerichtet, an dem in weiter Ferne die Skyline Miamis in hellsten Tönen blinkt. Irgendwo da hinten. Ein weiter Traum.

Sonnenuntergang am Malecón: Hier gibt es keine Unterschiede

Aber nicht jeder Kubaner träumt vom Auswandern. Andere träumen von der großen Karriere, von der Musik oder vielleicht dem Tanzen. Kein Wunder also, dass gerade hier am Malecón das Tanzbein geschwungen wird. Fünf Mädels im kurzen Rock tanzen zu einem alten Lied von Rihanna. Sie haben sich eine hübsche Choreografie ausgedacht, die sie nun einem Japaner samt 3.450 Euro Objektiv vortanzen. Selbst eine spanische Passantin zückt direkt ihr Smartphone, um die Show festzuhalten oder, wer weiß, direkt live zu streamen. Der großen Karriere steht also nichts mehr im Weg. Die Choreografie wird drei-, viermal wiederholt, bis sie sitzt und alle zufrieden sind. Küsschen rechts, Küsschen links und schon geht jeder wieder seinen eigenen Weg.

Doch kaum ist hier eine Musik gespielt, beginnt dort die nächste. Eine sechsköpfige Band bedudelt eine Gruppe Chinesen und säuselt ihnen alte, kubanische Liebeslieder vor. Jene, die man beim Spaziergang durch Havanna ohnehin den ganzen Tag zu hören bekommt. „El cariño que te tengo, no te lo puedo negar, se me sale la babita, yo no lo puedo evitar“, singen sie und zitieren die Männer, die ihr Havanna auf der ganzen Welt berühmt gemacht haben – die Helden des Buena Vista Social Clubs.

Die Sehnsucht und die große Liebe

Es geht um die unendliche Sehnsucht, die große Liebe und darum, dass man sie nie verstecken kann. Gekonnt spielen die Jungs mit der Reisegruppe, geben dem einen die Klanghölzer in die Hand, fragen den anderen nach dem Namen und bauen diesen kurzerhand in die nächste Strophe ein. Die Chinesen freuen sich sichtlich über ihr Privatkonzert. Sie tanzen und lachen losgelöst, während ihre Frauen alles durch ihre Smartphones beobachten. Schließlich will man den Daheimgebliebenen das spontane Privatkonzert nicht vorenthalten. Drei Lieder trällern die Jungs mit gespielter Emotion vor sich hin, drei Lieder lang wird getanzt und gezappelt, was das Zeug hält. Bis die Hand aufgeht, der Hut in die Runde gestreckt wird. „Wir sammeln für die Hurrikan-Opfer“, erklären die Jungs und hoffen darauf, dass ihre ausländischen Kunden aus dem fernen Asien mindestens genauso gebrochen Englisch verstehen wie sie selbst. Dem scheint allerdings nicht so. Und doch landet eine Handvoll Münzen im Hut. Ob diese tatsächlich bei den Hurrikan-Opfern ankommen, ist die andere Frage. Die Jungs ziehen weiter. Sie suchen sich die nächsten Opfer, trällern die gleichen Lieder und verschwinden im immer knalligeren Himmelsrot, das wie ein roter Mantel den Malecón überzieht.

Die Architektur in Havanna ist einmalig
Die Häuser in Havanna erzählen ihre ganz eigenen Geschichten
Der Sonnenuntergang am Malecon in Havanna
Sonnenuntergang am Malecón: Facetten von Orange

Mehr und mehr Menschen spazieren die Promenade auf und ab. Einige, um die Szenerie zu genießen, andere, um sich mit dem Verkauf von Taschentüchern oder Nüssen ein paar Taler dazuzuverdienen. Das klappt jedoch nur semi-gut. Trotzdem trotten sie unermüdlich auf und ab, auf der Suche nach dem kleinen Erfolg, den sich in Kuba alle wünschen.

Wenn der Himmel glüht

Mittlerweile haben sich die Angler weiter nach hinten gestellt. Zu heftig preschen die Wellen an die Betonmauer, zu hoch fliegt die Gischt über den Asphalt. Die Chinesen jubeln, machen Fotos und freuen sich über jeden Schnappschuss. Es ist ein Spektakel, das in Havanna jeden Abend stattfindet und immer wieder neu zelebriert wird. Ein Schauspiel, das es in viele Fotoalben schafft, auf viele Handys und auf viele Instagram-Accounts. Für die Kubaner jedoch ist der Malecón weit mehr als das. Er ist ein Ort der Freiheit. Ein Ort, an dem man in die Ferne schweifen kann und einer, an dem man seine kubanischen Alltagssorgen einfach mit der nächsten Welle über die Mauer werfen kann – wenn auch nur für einen kurzen Moment.

Mittlerweile glüht der Himmel, die Stimmung wird ausgelassener, die Bands haben sich vervielfacht. Und so vermischen sich die von allen Seiten einprasselnden Son-Klänge (Wikipedia) auf wundersame Weise zu einem Rhythmus. Er passt er zum Klatschen der Wellen gegen die Betonmauer, gestört nur durch die dicken Son-Bässe, die ab und an aus den knallbunten Oldtimern dröhnen, die mit Touristen auf der Rückbank den Malecón entlang heizen.

Kurz nach 18 Uhr ist es dunkel in Havanna. Die Betonmauern des Malecóns sind wie leergefegt, das Meer hat sich wieder beruhigt. Einzig ein paar einsame Seelen sind geblieben. Hier plätschern Liebeslieder aus einem Smartphone, dort tuschelt ein Pärchen. Ein ruhiges Fleckchen Erde. Aber nur bis zum nächsten Abend, wenn die Sonne wieder auf Hochtouren läuft und die Touristen aus ihren Löchern kommen, um das Spektakel am Malecón zu beobachten. Nämlich dann, wenn die Steine wieder aufgeheizt sind und die Klanghölzer wieder erklingen. El cariño que te tengo, Havanna, no te lo puedo negar!

 

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