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Sydney: Krawall und Shanti Shanti

Von heikel zu hip: Wie aus „Eora Country“ Redfern wurde und aus zu viel Alkohol ein leichter Soja-Chai-Latte. Sydneys Bezirk Redfern hat eine Menge miterlebt – erst die Ureinwohner, dann die Bauhaie und jetzt die Yogis und Unternehmer. Über den Wandel der Zeit in der australischen Metropole.

Redfern Sydney: Aborigine Malerei an jeder Ecke

Heute ist viel los in Stadtteil Redfern, Sydney. Die Ansagen durch die rostigen Lautsprecher vermischen sich mit den Telefonaten der Menschen, die in ihren Anzügen schnell durch die Schranken huschen und in den Gassen verschwinden.

Fred verteilt eine Zeitung nach der anderen. Seit Jahren schon arbeitet er hier in einer der kosmopolitischsten Metropolen in ganz Australien und bringt jeden Morgen die neueste Ausgabe der Tageszeitung „The Big Issue“ an den Mann und die Frau. Fred ist bestimmt 70 Jahre alt. Tiefe Furchen durchziehen sein Gesicht und lassen die Geschichten, die er erzählen könnte, von ganz allein sprechen. Er erinnert sich gern an die Zeit zurück, in der hier jeden Morgen der gleiche Mann saß und durch sein Didgeridoo sanfte Melodien schallen ließ.

In Redfern, Sydney, erzählen Wandmalereien die Geschichte

Es ist 9 Uhr morgens und an der Redfern Station im australischen Sydney herrscht eine Rushhour, wie sie im Buche steht. Im Minutentakt kommen die Züge aus dem Zentrum und den umliegenden schicken Ortschaften von Sydney an, etwa aus dem immer noch angesagten Surry Hills und dem hippen Alexandria. Sie karren hunderte von Angestellten, Unternehmern und Studenten in den südlich von Sydneys Geschäftsviertel gelegenen Bezirk.

Der Anblick der umher schwirrenden Passanten lässt einen ganz normalen Arbeitstag vermuten. Doch ganz so normal ist das gar nicht. Zumindest nicht für Redfern. Schon die ausgeblichenen Wandgemälde an den Mauern, die sich nur unweit vom Bahnhof befinden, erinnern an eine ganz andere Zeit. Durch den bereits bröckelnden Putz der Mauern lassen sich ihre Motive nur noch vage erkennen: Tiere, Menschen, Schnörkelmuster und eine Menge Szenen aus den historischen Erzählungen der australischen Ureinwohner.

Die Aborigines nannten Redfern über Jahre hinweg ihr Zuhause und gaben dem eigentlich recht belanglosen Bezirk sogar einen eigenen Namen in ihrer Sprache: Eora Country. Genau dieser Schriftzug ist es, der sich wie ein roter Faden durch die riesigen Wandgemälde an den Backsteinhäusern zieht, verstreut über die kleineren Gassen von Redfern.

Redfern Sydney: Die Malerei an den Mauern erzählen die Geschichten der Aborigines, die hier einst lebten
Die Malerei an den Mauern erzählen die Geschichten der Aborigines, die hier einst lebten

Wer den Bahnhof von Redfern hinter sich lässt und den Gemälden entlang der Mauern folgt, landet mitten im Herzen des Bezirks. Eine Gegend, die heute ganz ruhig und entspannt wirkt, ja sogar irgendwie hip. Das war jedoch nicht immer so. Kriminalität, Proteste, Drogen, Alkohol. Der Alltag in Redfern war ein harter. Gezeichnet von Arbeitslosigkeit und zu wenig Möglichkeiten, fand die zumeist indigene Bevölkerung von Redfern hier wenig Ruhe. Heute ist davon nicht mehr viel zu spüren. Die Straßen sind leergefegt. Die im Kolonialstil erbauten Häuser wirken einsam und auch auf den Sportplätzen und in den Fitnessstudios ist nichts los. Menschen sieht man hier tagsüber nur wenige und das hat seine Gründe.

Krawall in der indigenen Idylle

Das Problemviertel Redfern in Sydney war der australischen Regierung schon immer ein Dorn im Auge. Umsiedlungsprojekte, riesige Baupläne und Gentrifizierung sind nur einige der Faktoren, die den Großteil der hier beheimateten, indigenen Bevölkerung zum Umzug zwangen. Bis die Situation im Jahre 2004 eskalierte.

Es ging um die Schließung des sogenannten „The Block“ – einem Wohnviertel bestehend aus 21 Häusern in der Eveleigh Street, unweit vom Bahnhof entfernt. Im Jahre 1973 wurde diese Siedlung mit hunderten Sozialwohnungen feierlich an die Aborigines übergeben, als ein Geschenk. Leider dauerte es nicht lange, bis es hier zu Unruhen kam, Kriminalität zunahm, gehörte und die gesamte Gegend verwahrloste. Der Ruf von Redfern in Sydney war dahin, das Viertel galt für den Rest der Bevölkerung Sydneys bald als gefährliches Pflaster.

Im Jahr 2004, kam es zur großen Eskalation: Nachdem ein 17-jähriger Aborigine während einer Polizeiverfolgung auf dem Fahrrad ums Leben gekommen war, entwickelten sich die größten Rassenunruhen, die Australien seit 1960 in erlebt hatte. Das Resultat: viele Tote und die Schließung von „The Block“.

Heute hört man keinen einzigen Laut auf dem leeren Gelände, auf dem sich vor wenigen Jahren noch „The Block“ befand. Still ist es. Aus den überfüllten Briefkästen quellen längst vergilbte Werbeprospekte von anno dazumal. Die Häuser sind unbewohnt. „The Block“ existiert nicht mehr. Einzig ein riesiges Wandgemälde erinnert an die Ureinwohner, die hier einst lebten; es zeigt die Aborigine-Flagge, übergroß und allgegenwärtig.

Die australische Sonne knallt unerbittlich vom Himmel herab und nur selten streifen Windzüge über das leere Feld im Block. Wenn doch, dann fühlen sie sich an wie Geister, die durch die Gassen schleichen. Den alten Boxhandschuhen, die fest in den Fenstergittern von Tony Mundines Boxing Gym stecken, ist das völlig egal. Erst letztes Jahr wurde das Fitnessstudio geschlossen. Damit gingen zwei wahre Urgesteine – Tony und der Ring. Tony war eine echte Kämpfernatur und ein Mann, der als Aborigine stets für Gleichberechtigung kämpfte, innerhalb und außerhalb des Rings.

Redfern Sydney: Diese Malereien findet man heute am Aboriginal Community Centre
Diese Malereien findet man heute am Aboriginal Community Centre

Redfern, Sydney, ist zu einem tristen Ruhepol mit Szenecharakter geworden

Heute kämpft hier niemand mehr. Der Schriftzug an dem Backsteingebäude, der den Namen des Studios zeigt, ist kaum noch zu erkennen, die Gitter der Fenster rosten vor sich hin und nur vage lässt sich erahnen, wie hart und schweißtreibend die Boxkämpfe hier wohl einst waren.

Redfern ist nicht mehr das, was es einmal war. Doch es ist zu etwas Anderem geworden. Ein Tag in Redfern fühlt sich an, wie ein Spaziergang durch die Geschichte des australischen Kontinents. Er führt durch die verlassenen Gassen, entlang der Geschichten erzählenden Wandgemälde und mitten hinein in das, wozu sich Redfern allmählich mausert: einem Zentrum der hippen, zeitgenössischen Kultur, in dem es vor allem um Kunstgalerien, schicke Cafés und Werbeagenturen geht.

Nur unweit von „The Block“ entfernt, schallen entspannte Bässe aus einem Gebäude, das stark an eine Fabrik erinnert. Mittlerweile ist viel los, in Henry Lee’s Café. Die Backsteinmauern bieten Schutz vor dem australischen Hochsommer, die Metallstäbe bieten Platz für ein bisschen Wind und das ausgeklügelte Menü lässt die Herzen der Veganer, Vegetarier und all jener, die sich gern bewusst und gesund ernähren, höher schlagen. Am Tresen stehen schicke Wasserkaraffen als schnelle Durstlöscher mit Gurken, Limetten und Minze bereit. Auf den Tischen steht nachhaltiger, brauner Zucker und die Bedienung spricht sowohl Englisch als auch Spanisch und Französisch. Ab und an huschen adrett gekleidete, junge Damen in ultraengen Yogahosen eine schmale Wendeltreppe hinauf und verschwinden im Yogastudio. Alle anderen scheinen in den Tag hineinzuleben, sie treffen sich mit Freunden oder arbeiten von hier aus.

Redfern ist wie verwandelt. Nicht einmal zehn Jahre liegen zwischen dem Redfern, in dem selbst der Halt an der Redfern Station zu gefährlich war und dem jetzigen Redfern, in dem tagtäglich Werbekampagnen getextet werden, Galerien eröffnen und eine Yogastunde nach der anderen absolviert wird. Vieles hat sich geändert und so wurde ein Teil der australischen Geschichte gelöscht, ein neuer geschrieben.

Yoga, Werbung und die ganz große Zukunft von Redfern

In der Mittagspause herrscht Hochbetrieb bei Henry Lee’s. Bald ist der Laden brechend voll und das, obwohl die Straßen kurz zuvor noch wie ausgestorben wirkten. Eines sieht man hier weit und breit nicht: Aborigines. Weder morgens noch zum Yoga und schon gar nicht in der Mittagspause. Der Großteil der Ureinwohner hat ihr hassgeliebtes Eora Country schon längst verlassen und ist weitergezogen – viele in den Südwesten von New South Wales.

Nur einer von damals ist geblieben: Fred, der Nicht-Aborigine, steht weiterhin an der Redfern Station, die heute so belebt ist, wie sie es in Jahren der Kriminalität sicher nicht war. Dass es jetzt auch hier moderne Cafés und Restaurants mit gesundheitsbewusster Fusions-Küche gibt, das interessiert Fred nicht. Er ist hier für die Tageszeitung „The Big Issue“ (Website)– und die, zusammen mit ihren großen Nachrichten, wird es sicher auch noch morgen geben.

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