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Beirut: Im Schatten der Glitzerwelt

Südlich von Syrien treffen Kriegsdenkmäler auf eine Glitzerwelt, Luxuskarossen auf Armee-Kontrollpunkte, Shoppingmalls auf Flüchtlingszelte und ein schimmerndes Mittelmeer auf majestätische Berggipfel. Der Libanon – ein Land der Kontraste.

Langsam wird der Stau lichter und die Skyline von Beirut verschwindet im Smog der Großstadt. Es wird grüner und hügeliger. Man sagt, der Libanon sei das einzige Land der Welt, in dem man am gleichen Tag baden und Skifahren könne. Das liegt zum einen an der kleinen Größe dieses Landes und zum anderen an den perfekten natürlichen Bedingungen: das Mittelmeer auf der einen und die Berge auf der anderen Seite. Dennoch ist der Libanon ein Land der Kontraste.

Harissa und Batrun: Thronend über dem Libanon

Der Weg in den Norden des Libanon ist einfach. Es ist eine lange Straße, die ohne Biegungen direkt am Meer entlang Richtung Tripoli führt und nur ab und zu von Militärkontrollen unterbrochen wird. Ein schneller, grimmiger Blick des Soldaten ins Auto und schon kann es weitergehen. Dass das Nachbarland Syrien nur einen Katzensprung entfernt ist, ist kaum zu spüren. Im Gegenteil. Viel mehr dominiert das, was Libanon Reisen besonders macht.

Der erste Stopp ist Harissa, ein Ort, der Touristen auf ihren Libanon Reisen nicht nur wegen seiner Aussicht über den gesamten Libanon anlockt, sondern auch wegen der Statue, die hoch oben in 650 Metern Höhe über dem Mittelmeer thront. „Our Lady of Lebanon“ heißt die Dame, die hier nun schon seit Jahren als Fotomodell posiert. Ein Touristenort, der so unpassend wirkt, dass er schon fast wieder passt. Selbst die schick angezogenen, in Stöckelschuhen staksenden Frauen, die hier Selfies mit der Lady schießen, passen irgendwie hier her. Es ist das, was den Libanon auszeichnet: Kontrastierende Bilder, die sich so gekonnt abwechseln, dass es scheint, als hätten sie es vorher einstudiert.

Libanon ist ein Land der Kontraste
Kontraste im Libanon: Wo Religionen aufeinander treffen
Die Statue von Harissa
Die Statue thront über Harissa

Durch eine weitere Militärkontrolle hindurch und die Hauptstraße im Rückspiegel gelassen, wird die Straße holprig, die Schlaglöcher größer und die Kurven rasanter. Ein Roadtrip durch den Libanon ist alles andere als schieres Geradeausfahren, denn das Land ist ein wahres Roadtrip-Land, das sich hier, zu allem Übel, zwischen den Brennpunkten Israel und Syrien befindet. Und dazu ein Land, in dem das Pendel zwischen mediterranem und orientalischem Gefühl so regelmäßig schwingt, dass es leicht fällt zu vergessen, wo man sich gerade befindet. So auch in der Region Batrun. Hier laufen sich die Resorts am Meer mit jenen in den Bergen gegenseitig den Rang ab.

Kontraste im Libanon: Zwischen Beirut und Baalbek

Nur 15 Autominuten vom Meer entfernt liegt Batrun. Eine Küstenstadt, die nicht nur für ihre schroffe See bekannt ist, sondern auch für den Gebirgsabschnitt, der dahinter liegt, Batrun Heights genannt. Hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Die Schotterstraße führt vorbei an typisch libanesischen Häusern, die aus einzelnen Steinen so minimalistisch und akribisch aufgebaut wurden, dass sie unkaputtbar wirken. Zusammen mit den Olivenbäumen und Weinbergen herrscht hier ein libanesisch-italo-frankophones Flair. Am Ende der Straße liegen die Abdelli Terraces, ein authentisches Homestay, das 600 Meter über dem Meer thront und freien Blick über den Ozean auf der einen und die umliegenden Weinberge auf der anderen Seite gewährt.  Hier oben ist der Libanon zum Greifen nah. Von Batrun aus führt die Straße weiter ins Landesinnere. Die eigentlichen Touristenpfade liegen noch weiter entfernt. Zu den römischen Ruinen von Baalbek sind es von hier noch weitere 40 Minuten mit dem Auto, entlang einer Straße, die direkt durch die Bekaa-Ebene führt, einer Hochebene, die in den letzten Jahren zur Übergangsbleibe einer großen Zahl syrischer Flüchtlinge geworden ist.

Zwischen Gegenwart und Vergangenheit

Der Wohnraum in den libanesischen Großstädten ist rar, der Widerstand der Libanesen gegen die Flüchtlinge in ihrem Land ungebrochen. Gerade deshalb ist die Bekaa-Ebene das Zentrum für die improvisierten und vor allem illegalen Zeltlager vieler Syrer geworden. Die vom Norden in den Süden führende, fruchtbare Hochebene verläuft östlich des Libanon-Gebirges und liegt mit ihrem unteren und mittleren Teil in  900 bis 1000 Metern Höhe. Bei der Fahrt durch das Tal bahnt sich der penetrante Geruch von Urin den Weg durch die Klimaanlage in den Innenraum des Autos. Unzählige Zelte, notdürftig zusammengeschustert aus ausrangierten LKW-Planen, stehen rechts und links auf den Äckern – viele versehen mit den überdimensionalen Schriftzügen von Pepsi, Michelin und Coca-Cola.

Die Moschee von Baalbek in Libanon mit Blick auf die Grenze zu Syrien
Die glitzernde Moschee befindet sich in Baalbek in schönster Lage
Ein Straßenverkäufer im Nahen Osten
Die schönsten Begegnungen hat man im Libanon am Wegesrand
Der Tempel von Baalbek im Norden Libanons
Der Tempel von Baalbek wirkt wie aus einer anderen Zeit

Erst auf dem Parkplatz der Ausgrabungsstätten von Baalbek verschwinden die Zeltstädte so langsam aus dem Sichtfeld – und mit ihnen scheint plötzlich auch das Problem der Flüchtlingskrise wie weggeblasen. Hier leiten multilinguale Reiseleiter Touristengruppen aus verschiedensten Ländern durch die gewaltigen Tempelanlagen wie dem Bacchustempel. Die Tempel und die Altstadt von Baalbek dürfen sich seit 1984 zum UNESCO-Weltkulturerbe zählen (Eintrag) und locken dadurch jährlich den Großteil der Libanon-Besucher an. Viele von ihnen machen hierher einen kurzen Abstecher von der Glitzerwelt der Emirate, andere gehören eher zur Rentnerfraktion, die den lang gehegten Traum von der geführten Libanon-Rundreise nun endlich wahr werden lässt. Nur ein kleiner Teil aller Touristen im Libanon reist individuell durch das Land, auf der Suche nach dem, was sich um die Tourismusblase herum abspielt.

Die Skyline von Beirut im Libanon beim Sonnenuntergang
Der Sonnenuntergang in Beirut ist absolut einmalig

Die Ausgrabungsstätten von Baalbek thronen über dem Bekaa-Tal – weitläufig und erhaben. Dabei sind sie größtenteils überraschend gut erhalten geblieben. Heute stellen sie nicht nur den täglichen Arbeitsplatz vieler Reiseleiter dar, sondern auch das Zuhause von Schmuck-, Kleidungs- und Souvenirverkäufern, die hier immer wieder aufs Neue ihr Glück versuchen. Tatsächlich wurde hier, am Fuße des Antilibanon-Gebirges, ein Großteil der Geschichte des Landes geschrieben – und das tut der Ort auch jetzt noch. Wer am Bacchustempel ganz nach oben steigt und in die Ferne blickt, kann erkennen, was die Gegenwart des Libanons ausmacht. Ein Tag im Libanon ist wie eine Zeitreise durch die Geschichte des Landes. Sie beginnt dort, wo heute eine neue Form des Tourismus entsteht, in den Hochebenen von Batroun und in den Homestays der Einheimischen, die das libanesische Leben an die Besucher weitergeben wollen. Es führt weiter durch das, was den Libanon gerade sowohl politisch als auch sozial prägt: die riesigen Zeltlager der syrischen Flüchtlinge. Und es endet dort, wo alles einmal angefangen an – an den Ausgrabungsstätten von Baalbek, bevor die Glitzerlichter von Beirut wieder näherkommen und neue Kontraste im Libanon auf einen einprasseln. Libanon, du gebrandmarktes Kind mit unendlich vielen Möglichkeiten und Problemen.

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