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Äthiopiens Süden: Tradition oder Menschenzoo?

Der Süden Äthiopiens ist bunt, schrill und bewohnt von fotogenen Menschen, die genau wissen, wie sie die Kameras auf sich ziehen. Kein Wunder also, dass Touristengruppen immer wieder neu hier hinfinden. Vorhang auf für die Show im Menschenzoo.

Suedaethiopien-Menschenzoo-Jinka-Kinder

Findet im Süden von Äthiopien eine neue Art von Menschenzoo statt? Wir begeben uns auf Erkundungstour. Das Schild von Addis Abeba verschwindet im dichten Smog der Hauptstadt. Der Geländewagen ruckelt, sein Fahrer manövriert gekonnt an den dicken Löchern im Boden vorbei. Hinzu gesellen sich Horden von Eseln, Ziegen, Kühen und ganze Schafherden, die die Straßen blockieren. Rushhour? Das interessiert hier keine Sau.

Der Weg von der Hauptstadt in den Süden von Äthiopien, in das Omo-Tal, ist 600-Kilometer lang. Er führt durch unbewohnte Landschaften, entlang fruchtbarer Felder, durch Dörfer, Gemeinden und Kleinstädte. Er führt in eine Gegend, die einen besonderen Namen trägt: „Southern Nations, Nationalities and People’s Region“, zu Deutsch etwa  „Südliche Nationen, Nationalitäten und die Region der Menschen“. Mit anderen Worten: Hier liegt jene Region Äthiopiens, die so authentisch, echt und ursprünglich sein soll, dass sie ihren Namen wahrlich verdient. Hier sind die vielen verschiedenen Naturvölker Äthiopiens zu Hause, die an ihren Traditionen so stark festhalten, wie jeder andere Äthiopier an der aromatisch duftenden Kaffeetasse. So in der Theorie.

Vier Stunden hinter Addis Abeba werden die Straßen leerer. Jetzt sind wirklich nur noch die großen Allradwagen der Touristen und die Tiere der Einheimischen auf der Straße. Auch Häuser sind kaum zu sehen – nur ab und zu, ganz weit in der Ferne. Sie sehen aus wie große Ameisenhaufen aus Stroh und Stein, doch in Wirklichkeit sind sie das Zuhause des Konso-Volkes (Wikipedia).

Eine Jinka Frau im Menschenzoo im Süden von Äthiopien
Eine Jinka-Frau bei der Arbeit

Äthiopiens Konso: Die fleißigen Bienen

Die Konso sind die äthiopischen Meister der Landwirtschaft. Stets sieht man Frauen und Mädchen mit riesigen Heuballen auf dem Rücken und Männer und Jungs ganze Viehherden vor sich hintreiben. Sie wuseln, sie tun, sie arbeiten – und das trotz der Hitze, die teilweise äußerst nahe an der 40-Grad-Grenze kratzt. Sie wirken so beschäftigt, als hätten sie für jeden Tag einen festen Plan ausgearbeitet, den jeder unabhängig voneinander für seine Familie erfüllen muss. Als könne man die Konso nur aus der Ruhe bringen, indem man am Straßenrand anhält, um sich kurz die Beine zu vertreten. Dann stürmen Kinder, Frauen und Männer aus den Büschen mitten auf die Straße. Sie lassen alles stehen und liegen und rennen, mit oder ohne Vieh, zu den Touristen-Autos. Beim Annähern sind sie dann jedoch ganz schüchtern. Dann lachen und tuscheln sie ganz leise untereinander über die ungewohnten weißen Gestalten, die aus dem großen Auto gestiegen sind. Sie betrachten die Ausländer, als wollten sie den Anblick für alle Ewigkeit in ihrem Gedächtnis speichern. Erst, wenn das Auto wieder rollt, widmen sie sich erneut der Arbeit. Bis die Sonne untergeht, werkeln die Konso an ihren Feldern, tagein, tagaus. Sie errichten ganze Terrassenfelder – und das mit Gerätschaften, die so abgenutzt aussehen, dass sie in Deutschland wohl höchstens noch auf Vintage-Flohmärkten zu finden wären. Nebenbei richten sie ihre Häuser her und kümmern sich um Kühe, Ziegen und Esel. Kurz vor der eintretenden Dunkelheit werden die letzten Heuballen nach Hause geschleppt, um sie dem Vieh, das als natürliche Heizung mit im Haus der Familien lebt, zum Fraß vorzuwerfen.

Menschenzoo? Eine Entertainment-Show beim Dorze Volk

Das Auto schleppt sich weiter die kurvigen Straßen hinauf. Gestoppt wird es diesmal von Kindern, die gekonnt mit dem Po wackeln, fast schon wie die Mädels auf den großen Bühnen dieser Welt es tun. „It’s their traditional dance“, erklärt der Fahrer Sisay, der aus Addis Abeba kommt. Neben der typischen Äthiopien Reiseroute durch den Norden des Landes ist er auch schon unzählige Male durch den Süden des Landes und in das Omo-Tal gefahren. Auch diese Region kennt er in- und auswendig kennt. Es sind die Kinder des Volks der Dorze, die die Touristen schon auf der Straße unterhalten sollen. Wer ein Foto möchte, muss zahlen. Wer nicht anhält, der muss mit Steinen am Fenster rechnen und mit Buh-Rufen.

Das Land der Dorze wirkt weniger bewirtschaftet, als jenes der Konso: Es ist grün und doch karg. Die Straßen sind voller Männer, die sich, so scheint es, zum gemeinsamen Spazieren getroffen haben. In Wirklichkeit aber, hoffen sie auf ein Touristen-Auto. Kein Wunder also, dass einer der Rastamänner in Sekundenschnelle in das Auto springt, nicht nur mit einem breiten Grinsen und gutem Englisch, sondern auch mit schicker Kleidung und blitzblanken Nike-Tretern an den Füßen. Er scheint überglücklich und übermotiviert zugleich. Seine Erklärungen kommen wie aus der Pistole geschossen, fast so, als wären sie reine Gewohnheit.

Das Dorf der Dorze liegt in der Nähe von Arba Minch in Südäthiopien und gleicht einem Freiluftmuseum. „Hier ist ein typisches Haus, in dem wir leben. Ihr könnt gerne ein Foto von den Tieren da machen. Das geht auch mit Blitz, keine Sorge“, sprudelt es aus dem Mittdreißiger heraus. Die Ziege scheint sich schon längst an den Kamerablitz der Touristen gewöhnt zu haben. „Hinter dem Haus backt eine Frau Brot aus den Früchten des Baums der falschen Bananen, da müssen wir hin.“ Der Rastamann geht zügigen Schrittes vor. Die wichtigsten Pflanzen, die das Dorze-Volk für die Herstellung seiner Grundnahrungsmittel braucht, wachsen hier im Dorf direkt nebeneinander und wer sich einmal hier hin verirrt, dem wird noch mit einem ordentlich gefüllten Schnapsglas gedankt. Nämlich inmitten einer Gruppe einheimischer Männer, die sich hinter dem Baum der falschen Bananen in einer kleinen Hütte zusammen gefunden hat. Sie winken schon von Weitem. Ein Besuch in einem Dorze-Dorf ist unterhaltsam, er führt in die Lebensweise des Volks ein und endet feuchtfröhlich. Das alles für 600 Birr, ca. 25 Euro.

Suedaethiopien-Menschenzoo-Arba-Minch-Strasse
Die Straße in Richtung Arba Minch ist immer super voll
Suedaethiopien-Menschenzoo-Dorze
Straßenbegegnungen mit den Kids gibt es in Äthiopiens Süden fast immer

Ein paar Kilometer weiter südlich, liegt vor der riesigen Terrasse der Paradise Lodge das weitläufige Great Rift Valley. Zum Sonnenuntergang bestaunen hier die Touristengruppen mal nicht äthiopische Völker, wie das Mursi Volk in Äthiopien, sondern andere Wunder der Natur. Dazu gibt es importierten Rotwein aus Südafrika und frisch gegrillten Fisch, bevor es am nächsten Tag weiter durch die Region geht, die für ihre vielen Völker bekannt ist.

Menschenzoo in Südäthiopien? Im Blitzlichtgewitter der Touristenkameras

Der Süden von Äthiopien ist bunt, wild und für so manchen Besucher vielleicht auch etwas gewöhnungsbedürftig. Entlang der schier unendlich langen Straßen wirkt der Mix aus Tradition und Kleinunternehmertum vielerorts sogar geradezu überladen. Dabei verbirgt sich abseits der Touristenpfade und des Kamera-Blitzlichtgewitters, weit drinnen im Busch, noch weit mehr als nur der augenscheinliche, selbst gemachte Menschenzoo. Nämlich eine Vielzahl weiterer Völker, die ein einfaches, ganz normales Leben führen. So wandert ab und zu ein knapp, aber bunt bekleideter Mann über die Straße. Den grimmigen Blick starr auf das Touristen-Auto gerichtet.

Im Laufe der Zeit ist der Süden Äthiopiens zu einer wahren Attraktion geworden – für Touristen und Einheimische gleichermaßen. Ein Museum, ein Menschenzoo gar? Einer, in dem die Einheimischen die Touristen beäugen und Geld für Fotos, Tänze und den Besuch der Dörfer verlangen. Aber auch eines, in dem die Touristen ganze SD-Karten mit Fotos von Einheimischen und dem Alltag der Völker füllen. Beide Handlungsweisen sind gleichermaßen verständlich und wurden vermutlich auch von beiden Seiten gleichermaßen herausgefordert.

Am eindrücklichsten für den Besucher ist es, wenn auf der Fahrt durch die Region Einheimische, Tiere und ganze Dörfer entlang des Weges an ihm vorbeiziehen. Dann, wenn Ziegen, Esel und mit dem Po wackelnde Kinder die Autos der Touristen nach und nach stoppen und damit jedem einzelnen Beteiligten genug Zeit verschaffen, die Eindrücke aufzusaugen, die auf ihn einprasseln. Man braucht ein Weilchen, vielleicht die sogar die ganze Rückfahrt in die Hauptstadt, um all das zu verarbeiten. Bis das Ortsschild von Addis Abeba wieder in Sicht kommt und der Großstadtdschungel erneut die Sinne bombardiert.

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