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Peking und die ewigen Spiele

Die Olympischen Spiele in Peking 2008 sind längst vorbei. Die Bilder laufen aber noch immer in Dauerschleife. Das Event ist in den Köpfen der Chinesen fest verankert, als Erfolg einer Großnation. Von einem einsamen Olympiapark und den nie enden wollenden Spielen.

Olympiastadion-Peking-Foto

„Olympic Green, dao le!“, verkündet die freundliche Frauenstimme in der U-Bahn Linie 8, während die Bahn allmählich in die Station einfährt. In perfektem Oxford-Englisch ergänzt sie auch für die internationalen Besucher eine Übersetzung: Next stop, Olympic Green. Die U-Bahn, die die Innenstadt mit dem Olympiastadion Peking verbindet, wurde eigens für die Olympischen Sommerspiele 2008 angelegt. Jetzt ist wie leergefegt. Rund eine halbe Stunde dauert die Fahrt mit der Beijing Subway. Der Gang aus dem weitläufigen ‎U-Bahnhof gleicht dem eines Einlaufs ins Stadion. Fast glaubt man, Applaus und Fanfaren zu hören. Das kann aber auch der Wind sein, der die Treppe hinunter pfeift.

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An diesem Septembertag ist kaum etwas los im Olympiapark, dem Olympic Green, der eigens für die Beijing 2008 neu errichtet wurde. In Anlehnung an die besondere Anordnung der Verbotenen Stadt, ausgerichtet entsprechend dem Prinzip von Yin und Yang an einer Nord-Süd-Achse, befindet sich auch das Olympiagelände bedeutungsschwanger in Verlängerung eben dieser Achse im Norden Pekings. Eine Symbolik, die die Wichtigkeit der Veranstaltung für das Land untermauern sollte.

Die Schwimmhalle im Olympiagelände Peking
Die Schwimmhalle im Olympiagelände Peking
Das Olympiastadion in Peking wird auch Vogelnest genannt
Das Olympiastadion in Peking wird auch Vogelnest genannt

Ein Luftzug weht, lauwarm, aber stetig. Es zischt hin und wieder, wenn sich die Windböen ihren Weg durch die engen Strukturen der riesigen Metallgebäude bahnen – vom Nationalstadion, dem Vogelnest, bis zum Schwimmzentrum, von der Bogenschießanlage bis hinunter in den U-Bahn-Schacht des Olympic Sports Centers.

Das Olympic Green ist stolze 8.000.000m² groß und häufig mit einer zentimeterdicken Schicht von rotem, ascheähnlichem Staub bedeckt. Schwere Sandstürme peitschen den Sand Jahr für Jahr meist in den Sommermonaten aus der mongolischen Wüste bis in die chinesische Hauptstadt, wo er sich wie eine Decke über die Metropole legt und das öffentliche Leben vielerorts zum Erliegen bringt.

Bei klarer Luft trägt der Wind den Sand dann auch wieder fein säuberlich ab. So wie an diesem Spätsommertag. Heute ist der Himmel strahlend blau, die Luft schneidend klar. Der Wind nimmt so richtig Fahrt auf und der Olympiapark Peking erstrahlt in altem Glanz. Die Sommerolympiade, Peking 2008, ist längst vergangen. Die Zeit der großen Spiele, die China im Juni 2008 für gut zwei Wochen ins Licht der Welt rückten, ist eine Sache für die Geschichtsbücher. Doch das Interesse an dieser Sportgeschichte ist größer denn je.

Peking 2008: ein Medaillenspiegel für die Ewigkeit

Eine Strassenlaterne am olympischen Nationalstadion in Peking
Eine Strassenlaterne am olympischen Nationalstadion in Peking

Den Berichten von damals lauschen die 21,5 Millionen Einwohner von Peking weiterhin gerne. Zu schön war die Zeit, als China die neue, aufstrebende Wirtschaftsmacht war und die großen Olympischen Spiele unter dem Motto „Eine Welt, ein Traum“ in das Land der Mitte brachte – und damit die mediale Aufmerksamkeit auf ein Prestige-Event, bei dem der Schwimmstar Michael Phelps sich eine Goldmedaille, nach der anderen in den Spind hängen konnte, sich ein schlaksiger Jamaikaner namens Usain Bolt gleich mehrfach in die Annalen des Sports sprintete und China den Medaillenspiegel voller Stolz anführte.Peking organisierte Spiele mit 302 verschiedenen Wettbewerben in Wettkampfstätten, die noch im Jahr danach mehr Touristen anzogen als der Kaiserpalast. Dabei sein war alles. Und die Chinesen selbst? 62 Prozent bestätigten in Umfragen nach dem Großevent, dass es ihnen mehr Vorteile als Nachteile brachte. Ob es sich dabei um finanzielle Vorteile oder um schlichtweg schöne Erinnerungen handelt, wurde darin nicht erwähnt.

Olympiastadion Peking: Ein Stahlkomplex wie ein Vogelnest

Zunächst fällt das stählerne Olympiastadion Peking, das Nationalstadion, auf, das Herzstück des Olympic Green. Spitzname „Vogelnest“, den mächtigen Stahlträgern sei Dank. Sie erinnern an ineinander gewebte Äste. Das architektonische Meisterwerk wurde damals unter großem Tamtam von den Schweizer Stararchitekten Herzog & de Meuron (Website) entworfen und schließlich mit Tausend Mann für 325 Millionen Euro in nur fünf Jahren aus dem Boden gestampft – zumindest für deutsche Verhältnisse also in Windeseile. In den letzten neun Jahren hat sich das Vogelnest nicht verändert. Im Gegenteil, es steht da wie eine Eins, als wären die Spiele noch in vollem Gange. Fast wähnt man bei diesem Anblick wieder Fanfaren in seinem Gehörgang.

Die Maskottchen der Spiele in China
Statuen zeugen noch heute von den Olympischen Spielen in Peking 2008

Hier und da sieht man kleine Gruppen von Chinesen über das Gelände spazieren. Eine tummelt sich gerade um einen jungen Fotografen, begleitet von schallendem Gelächter. Wenn sich einer hierher verirrt, dann sind es oft Besucher vom Land. Diese Gruppe besteht aus Frauen und Männern in ihren Dreißigern, die sich prächtig amüsieren. Der Grund ist schnell klar: ein Foto wird unter den Anwesenden wild hin und her gereicht. Es zeigt eine der anwesenden Damen vor dem monumentalen Stadion. Der zuständige Architekt Jacques Herzog hatte schon bei der Eröffnung des Stadions der Hoffnung, dass „dieses Bauwerk für Peking das wird, was der Eiffelturm für Paris ist“: eine Ikone, vor der sich jedermann gerne fotografieren lässt. Für diese schon damals erträumte Funktion als Sehenswürdigkeit wurden eigens Fotografen eingestellt, die den Besuchern noch heute jeden Tag für ein paar Yuan spontane Fotoshootings anbieten. Direkt vor Ort geschossen und entwickelt, kommt der Abzug dann als Andenken mit nach Hause. Irgendetwas braucht man schließlich, um vor Freunden und Familie in der weit entfernten Heimat mit dem Besuch vom Olympiapark Peking zu prahlen. Dieses Foto der jungen Dame jedoch landet, dem Gewusel der Situation sei Dank, sicher nicht im heimischen Familienalbum, sondern auf dem kalten Asphalt des Olympic Green. Dort bleibt es liegen, während die Gruppe weiterzieht, herzhaft lachend und wild gestikulierend.

Olympiastadion in Peking ist das Nationalstadion
Das Olympiastadion in Peking ist das Nationalstadion

Ein genauer Blick auf die Momentaufnahme erklärt auch den Grund für das Getöse, denn der Schnappschuss ging sichtlich in die Hose. Das Bild von der stolz lächelnden jungen Frau ist nur zur Hälfte entwickelt worden und entspricht damit scheinbar nicht der Vorstellung des Instant-Models. Beim weiteren Spaziergang über das Gelände fällt schnell auf, dass der Name Olympic Green sehr schmeichelhaft ist. Grün ist hier kaum etwas. Stattdessen: Asphalt, Beton und Stahl soweit das Auge reicht. Überlagert wird die Szenerie vom krächzenden Ton der Fernsehgeräte, die alle paar hundert Meter aufgestellt sind. Sie zeigen die Bilder von damals, die legendärsten Wettkämpfe, die größten Erfolge, das breiteste Siegerlächeln. In Dauerschleife versteht sich. Man könnte schnell vergessen, dass zwischen damals und heute fast schon ein ganzes Jahrzehnt liegt. Fast fühlt es sich so an, als seien die Spiele erst gestern mit Pauken und Trompeten zu Ende gegangen. Doch genau diese plärren immer noch konsequent aus den rot verstaubten Flimmerkisten, untermalt von Melodien, die eher an Propaganda und einer Tonqualität, die eher an Störgeräusche erinnert.

Olympische Spiele 2008: Vorbei, aber nicht vergessen

Erst nach Norden hin hat das Gelände einen immer ausgeprägteren Parkcharakter. Im Olympischen Forstpark trifft man auf Grünanlagen, Wasserläufe und Zierseen, allesamt mit äußerster Sorgfalt in Stand gehalten und mit 680 Hektar fast doppelt so groß wie der New Yorker Central Park. Der Pekinger Bevölkerung steht seit Abschluss der Olympischen Spiele ein echter Volkspark zur Verfügung, auch wenn sich der Zulauf in Grenzen hält. Die chinesische Regierung ist jedoch darauf erpicht, das Olympiagelände nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Deshalb wird jeden Tag aufs Neue gegärtnert und geputzt. Auch das Nationale Schwimmzentrum mit seiner farblich changierenden Wabenfassade wird regelmäßig von hunderten Angestellten bis auf die letzten Quader auf Hochglanz geschrubbt.

Wie hoch sind die Instandhaltungskosten wirklich?

Dem Olympiastadion Peking mit einer Kapazität von 91.000 Plätzen geht es nicht anders. Hier fanden neben den Leichtathletikwettkämpfen und Fußballfinalspielen auch die Eröffnungs- sowie die Abschlussfeier statt. Auch wenn sich heute kaum jemand auf den Sitzschalen der Tribünen niederlässt, wird der Rasen des Vogelnests turnusmäßig gewässert und ist von einer dermaßen hohen Qualität, dass so manche Bundesligamannschaft neidisch werden könnte. Ob das nun wirklich an der guten Pflege liegt oder einfach daran, dass er schlichtweg nicht bespielt wird, ist jedoch eine andere Frage. Denn die Probleme der Nachnutzung sind gewaltig.

Ein Kind spielt im Springbrunnen im Olympiapark
Ein Springbrunnen im Olympiapark Peking

Sportveranstaltungen finden in den Olympiastätten kaum noch statt. Die Nichtnutzung wirft sogleich die Frage nach den Kosten für deren Instandhaltung auf. Nach den Angaben der Olympiapark-Verwaltung sollen diverse Kurzveranstaltungen wie Konzerte oder der Beijing Marathon jährlich rund 1,6 Millionen Euro einbringen, womit der laufende Betrieb allemal gedeckt werden könne, so versichern die Betreiber. Das lässt sich kaum überprüfen – ist aber schwer zu glauben angesichts verlassener Plätze und U-Bahn-Stationen, leerstehender Hallen und Korridore, verschlossener Tore und Schranken.Vor dem Schwimmzentrum plätschert es alle paar Minuten, denn dort befindet sich auf einer freistehenden Fläche ein Springbrunnen. Oder vielmehr das, was entsteht, wenn sich Wasserfontänen aus dem Boden hoch in die Luft katapultieren und einige Meter weiter wieder kunstvoll darin verschwinden. Dem kleinen Mädchen, das darin laut schreiend herumtollt, gefällt es augenscheinlich. Die Mutter steht emotionslos nebenan, die Kompaktkamera aber stets griffbereit.

100 Meter weiter bahnt sich eine Kehrmaschine den Weg durch das schier endlose Nichts aus Betonplatten: Mülltüten werden eingesaugt, Cola-Dosen zur Seite geräumt. Der Fahrer stiert ohne jeglichen Gesichtsausdruck gen Horizont, während ein Polierschwamm am hinteren Ende des Gefährts einen feuchten Streifen auf dem Boden hinterlässt.

Weiter westlich befindet sich ein Denkmal für die Gewinner der Spiele von einst. Ihre Namen sind hier in großen Lettern in Stein gemeißelt – die von Bolt und Phelps bei genauerem Hinsehen gleich mehrfach. Relikte längst vergangener Rekorde und großer Momente. Das wichtigste Vermächtnis der Spiele.

Für eine kurze Zeit jedoch verhalf eine andere Veranstaltung tatsächlich dem Olympiapark Peking als Austragungsort in der frühen Vergangenheit zu neuem Ruhm: die Leichtathletik-Weltmeisterschaften. Für eine kurze Zeit, im Sommer 2015, kamen sie wieder, die Besucher, wenn auch lange nicht in den Massen von damals.

Von Peking 2008 zu Peking 2022

Doch das soll sich in wenigen Jahren wieder ändern. Dann, wenn im Jahr 2022 die Olympischen Winterspiele in Chinas Hauptstadt stattfinden werden. Wenn auf Peking 2008 ein Peking 2022 folgt. Dann, wenn der chinesische Traum der ewigen olympischen Spiele weiterleben wird und Chinas Hauptstadt binnen 14 Jahren zum zweiten Mal Olympiagastgeber wird.

Das Olympic Green wird zumindest zur Eröffnungs- und Abschlussfeier ins Vogelnest, dem Olympiastadion Peking, rufen. Vielleicht wird er ja wieder aufbrausen, der Applaus von damals. Und vielleicht wird man sie sogar wieder hören: die nicht enden wollenden Sprechchöre und Fanfaren von Peking.

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