Sumela-Kloster: Im Hass zerstört und doch vereint
Ein Wallfahrtsort für Christen und Muslime zugleich: Das Kloster Sumela an der türkischen Schwarzmeerküste bewegt die Gemüter seit Jahrhunderten. Eine Konfrontation, die an keinem spurlos vorbei geht – weder an der Bevölkerung, noch an den alten Gemäuern.

Dem armen Petrus fehlt ein Arm, Maria sollte dringend zur Kosmetik und selbst Jesus sähe auch ohne seine Wunden recht mitgenommen aus. Die meisten religiösen Darstellungen sind entstellt, von den Heiligen Drei Königen bis zur Bergpredigt. Alles sieht stark nach der Kulisse einer Endzeit-Dystopie aus. Doch der Schein trügt. Ein Besuch im Sumela Kloster in Maçka, in der abgelegenen Nordosten der Türkei.
Das Kloster Sumela liegt auf 1200 Metern Höhe direkt an der türkischen Schwarzmeerküste zwischen Istanbul und Trabzon. Von der Küstenstadt Trabzon führt eine unscheinbare Serpentinenstraße einen engen Bergpass hinauf, an der Stadt Maçka vorbei, bis zum Berg Mela im Altindere-Nationalpark. Erst nach der letzten Kurve erhebt sich das Marienkloster Sumela vor den Augen des Betrachters, so, als sei es selbst eine heilige Erscheinung. Wie in stiller Andacht versunken, betten sich die kargen Steilhänge an die alten Gemäuer, umringt nur vom endlosen Tannenmeer des Zigana-Gebirges. Ein wenig surreal wirkt die Szenerie und erinnert an die verwunschenen Gebirgsklöster von Bhutan.

Immer noch muss die Region entlang der türkischen Schwarzmeerküste um jeden einzelnen Touristen aus dem Ausland kämpfen. Denn die Konkurrenz aus den klassischen Urlaubsdomizilen, gelegen am idyllischen Mittelmeer im Süden, ist einfach zu stark. Wer sich dennoch ans östliche Ende der türkischen Schwarzmeerküste traut, den erwarten fast vergessene Schätze. Zu den schönsten Perlen gehört das Kloster Sumela.
Aktivät
Tagesausflug zum Sumela-Kloster
Macht von Trabzon aus einen Tagesausflug in Anatolien. Besucht das Sumela-Kloster, taucht in die Karaca-Höhle ein, erlebt malerische Aussichten vom Zigana-Pass und probiert traditionellen Milchreis.
Die Gründung des Klosters ist längst zur Legende geworden: Man erzählt sich, dass eine vom Evangelisten Lukas höchstpersönlich gemalte Marien-Ikone von zwei Engeln hierher gebracht wurde, getragen durch die Wolken und abgelegt in einer Höhle. Zwei Mönche namens Sophronios und Barnabas beschlossen daraufhin, ihr eine würdige Stätte zu errichten. Ein Bau, der um 500 von Kaiser Anastasios gefördert wurde, sich jedoch erst Jahrhunderte nach der Eroberung durch die Osmanen, im Jahr 1461, zum Wallfahrtsort entwickelte. Sein heutiges Aussehen erhielt das Marienkloster jedoch erst im 19. Jahrhundert, als die emsigen Mönche Gebets- und Schlafräume aus Stein vor die Felsenkirche bauten. Von Zeit zu Zeit gesellten sich Pilger zu den Mönchen. Um diese, oft nicht belesenen Zeitgenossen die Bibelgeschichte näherzubringen, ließen sie die heiligen Wände des Klosters mit Fresken bemalen. Es ist wohl der Beharrlichkeit der Mönche, aber auch der Abgeschiedenheit des Klosters zu verdanken, dass die Werke über Jahrhunderte hinweg Bränden und Angriffen von Vagabunden standhielten.


Als nach dem Ersten Weltkrieg die griechische Bevölkerung bei dem Versuch, eine eigene Republik zu gründen, den Truppen Atatürks unterlag, wurden auch die Mönche nicht mehr geduldet und verließen mit Sack und Pack das Land. Was noch übrig war, nahmen Plünderer mit, sodass schließlich nur eines zurückblieb: die Fresken an den Wänden. Doch auch die gerieten bald in Vergessenheit, dem Verfall überlassen.
Sumela Kloster: Ein Felsen-Kloster für die Ewigkeit
Heute, über hundert Jahre später, kommen die Mönche manchmal wieder. Und auch der ein oder andere Reisebus parkt unterhalb des Klosters. Nachdem es 1972 von der türkischen Regierung unter Denkmalschutz gestellt wurde, zieht es jetzt vor allem einheimische Touristen an, und damit Muslime, was keineswegs verwunderlich ist. So wird es von den Muslimen auch „Meryem ana manastiri“ genannt: Mutter-Maria-Kloster. Eben jene Maria wird im Islam ebenfalls verehrt, nämlich als Mutter des Propheten.
Wer sich die lange, schmale Treppe zum Eingang im türkischen Kloster Sumela hinauf quält, der begibt sich mitten hinein in ein wahres Wunderwerk aus Stein. Vor den Augen der Besucher erhebt sich der Glockenturm in voller Pracht, der heilige Brunnen ist noch als solcher zu erkennen, genau wie die hübsche Kapelle, die in jeden auch noch so hektisch geschossenen Touristen-Schnappschuss passt.


Am meisten jedoch fallen die zahlreichen Fresken auf. Detailreiche Darstellungen von Heiligen, von Aposteln und ganze Szenen aus der Bibel sind auf den Felswänden zu erkennen. Malereien, die über Jahrhunderte vergessen und der Natur überlassen wurden. Leider aber auch der Menschheit, so mag man bei ihrem Anblick denken.
Vandalismus aus 1.600 Jahren
Die größte Zerstörung haben nämlich sie angerichtet, Mauerspechte und Souvenirjäger. Oft lassen sich sogar Namen und Daten erkennen, mühsam in die Steine geritzt. „Tom was here“ steht da irgendwo unter dem Konterfei von Jesus Christus. Daneben ist klein ein Herz zu erkennen: Emre liebt Aylin. Schön, dass das jetzt jeder Besucher weiß.
Vom Ziegenhirten zum Fischermann: Seit die Mönche dem Mela-Berg den Rücken gekehrt haben, wurden die heiligen Wände von vielen dafür genutzt, Spuren zu hinterlassen.
Bei diesem Anblick möchte selbst der strengste Atheist seine Hände vor dem Gesicht zusammenschlagen. „Graffiti auf die Wände zu schreiben, ist eine Straftat“, ist da auf einem Schild zu lesen – eine Warnung, die bedauerlicherweise einige Jahrzehnte zu spät kommt.
Aber noch etwas fällt auf: ganze Gesichter sind ausgekratzt, halbe Bibelgeschichten aus der Wand gerissen. Es scheint so, als habe hier über die Jahrzehnte jemand gewütet, der dem Christentum nicht alle wohlgesonnen war.


Aber woher kommt dieser Hass? Hier spalten sich die Meinungen und schwanken irgendwo zwischen gezielter Religionsschändung und dem unbedachten Vandalismus neuzeitlicher Freigeister. Die offene Frage nach dem Grund für die ausgekratzten Fresken birgt aber auch Hoffnung.
Hasserfüllte Zerstörung oder Jugendstreich?
So finden seit ein paar Jahren regelmäßig Gottesdienste statt – auf Initiative des ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel Bartholomäus I. (Wikipedia). Die christlich-orthodoxen Wallfahrten ziehen jährlich Tausende Christen an – aber auch Muslime. Hand in Hand zelebrieren sie das Christentum und den Islam, an einem Ort, der widersprüchlicher nicht sein könnte. Das Kloster Sumela wird zum Treffpunkt der Religionen.
Abends, wenn sich der Nebel langsam im dichten Nadelwald festsetzt, ziehen die letzten Tagestouristen wieder von dannen. Auf dem Weg zum Parkplatz passieren sie einen kleinen Souvenirshop.
Er verkauft, was Museumsshops christlicher Wallfahrtsorte eben verkaufen: Kerzen, Marienstatuen und Darstellungen von Petrus, Maria und Jesus. Auch Heiligenbildchen – und das ganz ohne Kratzer und Liebesbekundungen.
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